Es ist Nacht. Ein junger Mann namens S sitzt am Schreibtisch, leere Blätter Papier vor sich ausgebreitet und bereit zur Niederschrift. Das klingt nach einem Anfang. Doch einen solchen sucht man in Simon Strauß’ knapp 140 Seiten umfassendem Buch vergebens.
Es ist Nacht. Ein junger Mann namens S sitzt am Schreibtisch, leere Blätter Papier vor sich ausgebreitet und bereit zur Niederschrift. Das klingt nach einem Anfang. Doch einen solchen sucht man in Simon Strauß' knapp 140 Seiten umfassendem Buch vergebens. Es gibt keinen – nicht einmal am Ende. Und eigentlich gibt es auch kein Ende. Die Erzählung setzt ein und aus mit Passagen, die sprechende Titel tragen: »Vor dem Anfang« und »Vor dem Ende«, heißt es da. Wir befinden uns in einem Zwischenraum, im Schutzraum der Nacht. Dem Angebot eines mysteriösen Fremden folgend, soll S in sieben Nächten sieben Todsünden begehen, um seine Angst zu bändigen, sein Leben zu verbringen ohne es gelebt, ohne gekämpft, widersprochen und ohne Fehler gemacht zu haben.
Sieben Nächte löste im deutschsprachigen Feuilleton nach euphorischer Erstaufnahme Wellen der Entrüstung aus. Man warf ihm vor, einen gefühlstriefenden Gemeinschaftskult zu beschwören und auf diesem Pfad faschistisches Gedankengut zu artikulieren. Darauf kann nur kommen, wer das gedruckte Wort zuungunsten des ungedruckten überschätzt. Wer glaubt, dass der Sinngehalt eines Textes allein durch die Auflistung seiner Buchstaben und Satzzeichen ausreichend erschlossen sei. Von der ins Visier der Kritik genommenen »Schicksalsgemeinschaft« wird ja durchaus in Sehnsucht gesprochen – alle Erfüllungsversuche aber schlagen fehl. In der großen Eindrücklichkeit dieser Fehlschläge verweist Sieben Nächte so wieder auf den Einzelnen, der nur in seiner Vereinzelung lernen kann, ohne stützende fremde Schultern und damit auf eigenen Beinen zu stehen, aus eigener Kraft den Anfang zu schaffen. So sind Anfang und Ende die Sache des Lesers – nicht die des Erzählers, der leicht mit dem Autor verwechselt wird, und auch nicht die einer Schicksalsgemeinschaft.
Wer dem Immergleichen, dem Gewohnten und Gewöhnlichen, entfliehen will, dem sei dieses Werk ans Herz gelegt. Der so sehnsuchtsvoll erwartete Ausbruch aus der Gefangenschaft leblosen Gleichklangs bleibt ein strittiges Wagnis. Wenn das eigene Leben in Frage gestellt wird, kann ein bloßes Nachfühlen ähnlich gemünzter Reflexionen anderer Leute nicht ausreichen. Auch Hunger lässt sich bekanntlich nicht durch das Verfolgen von Fernsehsendungen stillen, die den Genuss inszenieren.
Text: Simon Strauß, Sieben Nächte (Blumenbar 2017)