Wenn Computer sprechen, dann nicht ohne Rauschen. Jeder Kanal ist von Rauschen durchdrungen; Rauschen, das in der Übertragung entsteht, und Rauschen, das die übermittelten Informationen kontextualisiert. Rauschen, das die Kapazität des Kanals auf ein Endliches beschränkt, und Rauschen, das selbst ein Teil der Information ist. Das Rauschen ist eine Schwelle. Es entstellt die Information; doch ohne Rauschen kann keine Information übermittelt werden. Kippt das Ereignis zu einer Seite weg, wird das Rauschen zu Lärm, zu einem Fehler, der das System plötzlich bricht. Auf der anderen Seite steht der glitch.
Modern ist, was die Vermitteltheit jeder Erfahrung kaschiert. Was das Medium der Vermittlung nach innen gestülpt in sich selbst verbirgt. Während das Rauschen der Schallplatte noch auf sich selbst hinweist, versucht die CD erfolreich das Rauschen der Schallplatte abzustellen. So entsteht die Simulation eines Kontinuums, der Verlauf als einmütiger und ungestörter Flow. Ganz vergessen ist da, dass Strom nicht ohne Unterbrechung und Funktion nicht ohne Störung geht. Die CD rauscht nicht mehr; auch wenn sie immer wieder stehen bleibt und sich, wie auf der Stelle, ein einzelnes Bit musikalischer Information wiederholt.
Wenn Computer sprechen, dann nicht ohne Rauschen. »What makes every medium specific is how it fails to reach a state of complete transparent immediacy«, sagt Rosa Menkman. Der glitch führt an den Abgrund des Scheiterns und hilft über ihn hinweg. Ihm nachzugehen heißt, sich auf Schwächen einzulassen. Auf Momente, in denen das Ich sich selbst fremd wird, ich den Arm neben mir nicht mehr als den meinen erkenne. In jenen Momenten versagt die Wahrnehmung und ein Abgrund entsteht zwischen dem Ich und seinem Bewusstsein für Raum und Zeit. Ein Abgrund, an dem es plötzlich nötig wird, sich zu verorten, wie und wo es nicht vorgesehen war.
Ich habe geschlafen. Ich schaue aus dem Fenster; mein Traum vermischt sich mit der drückenden Spätnachmittagshelligkeit draußen: Da ist wirklich ein Himmelszelt aus Ektoplasma, das sich überall um den Horizont hüllt und nach oben hin zusammenzieht. Ich spüre die Bubble hinter den Häusern. Und obwohl es unmöglich scheint, sich diesem Eingebundensein zu widersetzen, bemerke ich einen Glitch; er ätzt sich durch die hartglibbernden Wände, gräbt sich hinein, verändert die Moleküle. Hier kann alles rekonfiguriert werden, aber nichts verschwindet von selbst.
Nichts ist geringfügig; alles morpht woanders hin, sobald sich Öffnungen ergeben. Nur geht es in den Vernichtungszusammenhängen, in denen wir leben, um Verschlossenheit. Wer strömungsfähig ist, ist nach Wilhelm Reich gesund, was wiederum bedeutet, dass man im Kapitalismus aus seinem hart erkämpften USP herausdiffundieren würde.
Neben dem Bett liegt Our Death von Sean Bonney. Ich trinke kaltgewordenen Kaffee und lese:
»Jeden Abend ist es, als würde die Sonne in die Erde reinkrachen. Das geht seit ein paar Wochen so. Der Himmel teilt sich in Zwei und alle Einzelheiten unserer Leben – Sehsüchte und Fakten und Krämpfe – lodern irgendwo hinter dem Horizont auf und erschaffen verbitterte Karten, wahllose Fetzen aus Trümmern, die fast bedeutungsvoll wirken. Alle menschlichen Daten sind über den Himmel verschmiert.«
Wie sollen in einer Gesellschaft, die zerfällt und gleichzeitig so geisteskrank in ihrer Dysfunktionalität verfangen ist, nicht die künstlerischen Ausdrucksformen am tiefsten führen, die selbst mit Störungen arbeiten. Obwohl ich schreibe, will ich halluzinieren. Ich mag es nicht, wenn mir die Sätze hart und konturiert vorkommen; ich will, dass sie ihre eigene Unschärfe beinhalten, ihr eigenes Verschwimmen. »Dann kommt auch tief in uns etwas zum Schwingen, das schon lange schwingen wollte« (Henri Bergson).
Ich will mich der Gravität, die mein Denken nach unten drückt, entziehen.
Meine Mutter, die Psychologin ist, fragte sich, ob in mir eine Sehnsucht nach Dissoziation sei, eine entsetzliche Sehnsucht sogar, aber ich antwortete, dass diese Sehnsucht nicht in mir sei, sondern in der Welt, was hin und wieder auf uns alle abfärben würde, zumindest wenn wir eine Sensibilität dafür entwickelt hätten.
»In einer ironischen und tödlichen (da jedes Mal widersprüchlichen) Inversion von Form und Hintergrund wird derjenige, der in einer ‘Umwelt‘ lebt, zur ‘Umwelt‘ und umgekehrt: Es ist die Krise einer immer doppeldeutigeren ‘Umwelt‘, von der wir nie wissen, wie sie zu uns steht – noch wissen wir, wie wir zu ihr stehen.« (Deborah Danowski, Eduardo Viveiros de Castro)
»Die Zerstreutheit der Ereignisse ist aber ungewöhnlich. Ihre Auswirkungen fallen kaum ins Gewicht.« (Henri Bergson)
»Ein Minimum an Zerstörung kann zu einem Maximum an Freiheit führen.« (Marcus Steinweg)
Jede Abweichung findet statt innerhalb einer Gesellschaft, die ich versuche zu verstehen, während ich gleichzeitig das Gefühl habe, mich in einem Zustand zunehmender Derealisation zu befinden.
»Das, was Trap ausmacht, zahlt ein auf einen Modus des dreckigen Realismus (dirty realism). Wahrscheinlich ist es die einzige Literatur, die es vermag, das strukturelle Gefühl der Zeit einzufangen, in der sie entsteht, und mit Sicherheit ist Trap die einzige amerikanische Literatur überhaupt, die von sich behaupten kann, dass sie eine breite Anhängerschaft hat, und zwar durch alle races und Klassen hindurch. Die Referenzpunkte von Trap sind austauschbar und naheliegend, erregend und langweilig, trivial und trendy – wie Kabelfernsehen. Sport, Filme, Comedy, Drogen, Scarface, Reality-TV, Essen, schlechte Bildung, abgefuckte Wohnsituationen: Die schier unendliche Energie eines effizienten kapitalistischen Systems, das sich über eine zerbröckelnde und erniedrigende soziale Struktur legt, wobei sich die darunterliegenden, durch das System erst verursachten Spannungen zwischen Klassen, races und Geschlechtern reproduzieren und sogar verstärken.« (Jesse McCarthy)
Im Insuffizienten materialisiert sich der Glitch. Alles verschmiert. Ich versuche ihn zu beschwören, wenn ich geschützt bin am Schreibtisch, damit Risse entstehen, durch die ich in eine umgebungslose Umgebung entkommen kann: wo ich mir selbst ausgesetzt bin, wo nichts haltbar ist. Damit ein Denken vonstatten geht, das wirklich einwirkt auf die Welt. Weil dann eine Veränderung passiert, mindestens in mir selbst.
Nur was ist mit Insuffizienzen, die wir andauernd, ohne es zu wollen, selbst hervorbringen, einfach, weil wir leben und sterben?
Die glitchende Welt, in der wir uns andauernd bewegen, fordert uns auf, uns selbst zu offenbaren, weil, wie Andrew Culp schreibt, »die Erfahrung selbst kein Denken ist, sondern bloß eine Provokation, um zu denken – eine Erinnerung an das Unerträgliche, an die Unmöglichkeit, dasselbe weiter zu tun, und an die Notwendigkeit des Wandels.«
»Tatsache ist, dass keine Strategie unter den gegenwärtigen historischen Bedingungen eine glaubhafte unmittelbare Gefährdung des Systems in dem Sinne darstellt, dass es gute Gründe zur Annahme gäbe, sie werde in naher Zukunft eine den Kapitalismus gemein gefährdende Wirkung zeitigen. Das ist, was es bedeutet, in einem hegemonialen kapitalistischen System zu leben: Der Kapitalismus ist in seinen Grundstrukturen so sicher und flexibel, dass es keine Strategien geben kann, die ihn unmittelbar gefährden.« (Erik Olin Wright)
Menschen, die ich liebe, sagen mir, dass sie sich fühlen, als würden sie komplett wegerodieren. Wenn ich darüber nachdenke, wie eine Welt beschaffen ist, in der solche Aussagen möglich werden, denke ich an zerfetzte Ozonschichten, übersäuerte Ozeane, kollabierende Ökosysteme, kollektive Selbstlüge, an Falschheit und Übersteuerung und Ohnmacht. Eine Ästhetik, die diese Welt wiederspiegelt, besteht aus Fragmenten, Ambient Lights, Glitchen und Autotune.
Lil Wayne rappt sich aus den blechernen Laptopboxen in meine Seele rein, die Bildschirmhelligkeit unterliegt leichten Schwankungen, um mich herum aufgeschlagene Bücher, dazu mehrere offene Tabs, und irgendwo zwischendrin hacken meine Fingerspitzen auf die Tastatur, so dass alles, worin ich mich gerade befinde, in den Text fließt, I look in the flames and see the hotter me, und da steht bei Eduardo Viveiros de Castro:
»Es geht also nicht darum, Konturen zu verwischen, sondern darum, sie zu falten, verdichten, verzerren, irisieren, fraktalisieren.«
Wir haben längst kapiert, in die Gegenwart einzubrechen.
Okay. Was jetzt?
Joshua Groß ist ein deutscher Schriftsteller. Er studierte Politikwissenschaft, Ökonomie und Ethik der Textkulturen in Erlangen. Seit 2013 hat er mehrere Bücher in verschiedenen Verlagen veröffentlicht, zuletzt Flexen in Miami (2020) bei Matthes & Seitz Berlin. Joshua Groß ist einer der Herausgeber der Anthologie Mindstate Malibu (2018), erschienen bei starfruit Publications. 2018 war er zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur nach Klagenfurt eingeladen, 2019 erhielt er den Anna Seghers-Preis. Im gleichen Jahr sprachen wir in Nürnberg mit ihm über die Hoffnung aller Hoffnungen.
Wir danken Jenny Schäfer, Adam Ferriss und Planetary Intimacies für die Genehmigung, ihre Kunstwerke abzubilden.
Produktion: Max Farr, Holm-Uwe Burgemann
Übersetzungen der Zitate von Sean Bonney und Jesse McCarthy: Joshua Groß
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Es entsteht in der Inselregion, »die ein zentraler Teil des neuronalen Netzwerks ist, das uns ein Bewusstsein für den eigenen Körper vermittelt. In ihr laufen alle Signale über den aktuellen Zustand zusammen – Haltung, Temperatur, Schmerz oder Berührung. Hier werden die Signale außerdem mit Informationen aus der Umwelt zusammengebracht, sodass ein Gefühl für das eigene Ich in Raum und Zeit entsteht.« Die Zeit
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