Es ist ein kleiner, scheinbar unschuldiger Akt des Betrugs, sobald man beginnt zu imaginieren. Je mehr man sich das Gesicht der geliebten Person nur mehr vorstellt, desto mehr scheint sie sich unserem Zugriff zu entziehen. In der Liebe ist das Visualisieren ein gefährlicher Akt, der unsere Trennung von der Geliebten vertiefen kann. Die geliebte Person wird verzerrt, ihr Körper zu einer Idee verhärtet, das Leben in ihren Augen in einem Bild fixiert. Kierkegaard schreibt: »Für mich ist nichts gefährlicher als die Erinnerung. Habe ich mich eines Lebensverhältnisses erst erinnert, so hat das Verhältnis selbst aufgehört. Es heißt, daß Trennung die Liebe auffrischen helfe. Das ist zwar richtig, aber sie frischt sie auf eine rein poetische Weise auf. In der Erinnerung leben ist das vollkommenste Leben, das sich denken läßt, die Erinnerung sättigt reichlicher denn alle Wirklichkeit, und sie hat eine Sicherheit, wie keine Wirklichkeit sie besitzt. Ein erinnertes Lebensverhältnis ist bereits in die Ewigkeit eingegangen und hat kein zeitliches Interesse mehr.«
Die Diaspora ist zum Erinnern verdammt. Wer weg ist, muss sich vorstellen. Sich sein Zuhause vorstellen, die Umarmung, den Augenblick der Rückkehr. Dabei die Grausamkeit der Auswahl, die jedes Erinnern von uns verlangt: Unsere Koffer sind immer zu klein, selbst wenn wir derer zwei tragen. Viel bleibt zurück, einiges ist zu schwer. Das Erinnern ist ein Akt der Selbstzerstörung. Es verunmöglicht die Rückkehr, nach der wir uns sehnen.
Die Sehnsucht schmerzt manchmal besonders. Gerade dann, wenn die Rückkehr, wie ein Ritual, erwartet wird. An der Schwelle zum neuen Jahr. An der Schwelle zur neuen Jahreszeit. Und wenn beides zusammenfällt: Nowruz. Der erste Tag des persischen neuen Jahres, oder wörtlich: der neue Tag, der zugleich den Beginn des Frühlings markiert. Es ist der Tag, an dem Licht und Finsternis zu gleichen Teilen bestehen. Es ist an diesem Tag, dass unsere Heimkehr erwartet wird. Rembrandt hat ihre Bedeutsamkeit gemalt. In »Die Rückkehr des verlorenen Sohnes« kehrt ein Kind, das lange fernblieb, nach Hause zurück. Es tritt aus der Dunkelheit der Existenz in ein Refugium, dass nur ein Zuhause bieten kann. Wir sehen den Kontrast und das Spiel der Farbtöne, die die Dunkelheit der Welt darstellen, die durch das Licht der Heimkehr ausgeglichen wird. Ein erschöpftes Knien in die Erlösung einer warmen Umarmung. Von jemandem, der {auf uns wartete.: Und das ist Grund zur Freude, wie der Vater im biblischen Text, von der Rembrandts Gemälde erzählt, sagt: »Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.«} Doch solange diese Rückkehr nicht möglich ist, ist das Erinnern alles, was wir haben.
Das Gedicht von Shams Langeroodi spricht von Erwartungen, die nicht erfüllt wurden. Deren Unerfülltheit besonders schmerzt, weil es jetzt Frühling ist. Das Gedicht spricht von der Dunkelheit der Welt, die nicht durch das Licht der Rückkehr ausgeglichen wurde. Shams beschreibt, wie sich das anfühlt: Das ist nicht das Leben. Es ist Zeit.
von Raha Golestani
Kurzum, ein weiterer Frühling
ohne deine Anwesenheit
Und das, was nicht schön ist, ist nicht das Leben
es ist Zeit.
Wir sind die Seerosen im Sumpf dieser Welt
und wir sind froh, Seerosen zu sein
Es gibt ein Dach zum Glück
der Grund der Enttäuschung ist unsichtbar.
Jeder Fluss
mündet in seinen eigenen See
Durch Sehnsucht nach dem lebendigen Fluss wird der Fluss nicht lebendig
Das Wasser kann nicht gefaltet werden
und in keinen anderen Fluss gegossen
Man kann froh sein, der Fluss zu sein.
Frühling ist Frühling
und er ist nicht darauf aus, die Zweige grün zu malen
Schnee ist Schnee
er ist nicht dazu aufgelegt, die Zweige des Baumes zu brechen
Durch Flehen kann das Blatt
nicht am Fallen gehindert werden
Reise mit den Jahreszeiten
Es gibt ein Dach zum Frühling
der Grund des Frostes ist unsichtbar.
Wenn eine Hand zum Streicheln und
ein Knie zum Ankommen geblieben ist
sei sanft mit dir selbst
Obwohl auch du eine Lüge erzählst
wie ich manchmal
Ich schmelze deine Lüge wie Würfelzucker in meinem herben Mund
Sei sanft mit dir selbst.
Ich wäre nicht, wenn du nicht wärest
Deine Lüge
sehe ich als den durstigen Dorn eines Kaktus
der furchterregende Vögel fernhält
dem kleinen Vogel Unterschlupf gewährt
Es gibt ein Dach zur Wahrhaftigkeit
der Grund der Falschheit ist unsichtbar.
O zerrissener Mond, sei geduldig!
Was hast du nicht schon gesehen
Was wirst du nicht hören
Wir erkennen die Heilung deiner Wunden an deiner verletzten Brust
O gefleckter Mond!
Leuchte wie eine Blase auf dem Meer und
sei froh mit deinem leeren Himmel
Das Leben ist das Fest des Wassers
Die Lichterketten der Flüsse, die die Meere erreichen
verwundet von Winden, Kahnen, Felsen
Es gibt ein Dach zur Helligkeit
das Ufer der Dunkelheit ist unsichtbar.
Denk nicht, dass es Frühling ist und du keine Narzisse und Lilie
Durch Sehnsucht nach dem lebendigen Fluss wird der Fluss nicht lebendig
Stell deinen Boden auf den Kopf
Lass nicht zu, dass keine Wurzeln und kein Wasser bleiben,
Es gibt ein Dach zum Leben
der Grund des Nichts ist unsichtbar
Du kannst mit deiner Farbe und deinem Duft glücklich sein
Wir sind Seerosen im Sumpf dieser Welt
und wir sind froh, Seerosen zu sein.
خلاصه بهاری دیگر
بی حضور تو
از راه می رسد
و آن چه که زیبا نیست، زندگی نیست
روزگار است
گل نیلوفر مردابه ی این جهانیم
و به نیلوفر بودن خود شادمانیم،
سقفی دارد شادکامی
کف ناکامی ناپدید است.
هر رودخانه ای
به دریاچه ی خود فرو می ریزد
به حسرت زنده رود، زنده نمی شود رود
نمی شود آب را تا کرد
و به رودخانه ی دیگری ریخت
به رود بودن خود شادمان می توان بود.
بهار، بهار است
و بر سر سبزکردن شاخه ها نیست
برف، برف است
هوای شکستن شاخه های درخت را ندارد
برگ را به تمنا،
نمی شود از ریزش باز داشت
با فصل های سال همسفر شو
سقفی دارد بهار
کف یخبندان ها ناپدید است.
دستی برای نوازش و
زانویی برای رسیدن اگر مانده است
با خود مهربان باش،
اگرچه تو نیز دروغی می گویی گاهی مثل من
دروغت را چون قندی در دهان گسم آب می کنم
با خود مهربان باش.
نبودم اگر نبودی
دروغ تو را
خار تشنه ی کاکتوسی می بینم
که پرندگان مهیبت را دور می کند
به پرنده ی کوچک پناه می دهد
سقفی دارد راستی
کف ناراستی ناپدید است.
ای ماه شقه شقه صبور باش!
چه ها که ندیده ای
چه ها که نخواهی شنید
ما التیام زخم های تو را
بر سینه ی مجروحت باز می شناسیم
ماه لکه لکه!
مثل حبابی بر دریا بدرخش و
با آسمان خالی خود شادمان باش.
جشنواره ی آب است زندگی
چراغانی رودها که به دریاها می رسند
زخم خورده ی بادها، زورق ها، صخره ها
سقفی دارد روشنی
کرانه ی تاریکی ناپدید است.
اندیشه مکن که بهار است و
تو نرگس و سوسن نیستی
به حسرت زنده رود،
زنده نمی شود رود.
خاکت را زیر و رو کن
ریشه و آبی مباد که نمانده باشد
سقفی دارد زندگی
کف نیستی ناپدید است
به رنگ و بوی تو خود شادمان می توان بود
نیلوفران مردابه ی این جهانیم
و به نیلوفر بودن خود شادمانیم.
Nachdem Shams die Aufnahme und das Dokument des Gedichts sendete, ergab sich ein daran anschließendes und davon wegführendes Gespräch. Einige Fragmente davon.
Was die Kunst tut, liegt nicht im Bereich der Nützlichkeit, sondern im Bereich des Begehrenswerten. Für jedes Begehren besteht die Möglichkeit, sich in Nützlichkeit zu verwandeln, aber es ist nicht ihr Hauptprinzip. Wir schauen uns den Sonnenuntergang an und genießen ihn nicht, weil er nützlich ist, und doch kann er letztlich für uns nützlich werden. Besonders in Zeiten der Krise ist der größte Wert der Kunst, begehrt zu werden. In der Yalda-Nacht nehmen die Menschen einen Fal mit Hafez, weil er begehrt wird. Weil es ihnen eine Perspektive gibt, einen Seelenfrieden, es beruhigt ihren Geist und leitet ihn. Deshalb können wir von der Kunst kein Wissen erwarten, auch keinen Nutzen, nur jenes Begehren. Wie die Musik, die der Kunst reinste Form ist. Nur in Diktaturen suchen sie den Nutzen und den Gewinn von allem und haben dennoch nichts erreicht. Was die Poesie leisten kann, ist, das Gewicht der Zeit und des Lebens zu erleichtern. Wie Nietzsche sagte, dass, wenn es keine Kunst gäbe, die Wahrheit uns ersticken würde.
Für mich ist Hafez der wichtigste Dichter der Welt – das würde ich ohne Zögern bekennen. Ich sage das jetzt aufgrund von 50 bis 60 Jahren Arbeit an der Poesie. Ich verstehe jetzt mehr, was Hafez bedeutet. Hafez ist reine Musik, ein Wort ist wie eine Note. Natürlich bin ich auch selbst von der ästhetischen Qualität seines Werkes beeinflusst worden. Er ist der wichtigste Dichter in meinem Leben.
Worte wie Pessimismus und Optimismus mögen in der Psychologie toleriert werden. Aber optimistisch oder pessimistisch zu sein, wenn man im Abwasser feststeckt? Man versucht, sich aus diesem Zustand zu befreien. Ich spreche nicht einmal nur von Krankheiten. Manche sehen hinter jeder guten Sache, die sie sehen, etwas Schlechtes oder andersherum. Manche, wie diese »amerikanischen Optimisten«, wollen zwanghaft sagen, ruhig zu bleiben. Ich nehme keine Rücksicht auf diese seichte Philosophie. Die Wahrheit ist, dass das Leben eine Kombination aus Dunkelheit und Licht ist. Die Wahrheit ist auch, dass man die Dunkelheit als Dunkelheit und die Helligkeit als Licht sehen sollte. Ich schenke dem Licht mehr Aufmerksamkeit. Nicht, dass ich die Dunkelheit nicht sehen würde. Ich sehe gerne das Licht und genieße es mehr, aber ich bin sehr vorsichtig damit, dass ich, wenn ich in der Dunkelheit bin, nicht sage: was für eine schöne Dunkelheit.
Man kann nie sagen, dass Poesie realistisch ist. Aber Kunst ist die Reflexion der Realität im Geist des Künstlers. Das bedeutet, dass die Realität im Spiegel des Geistes des Künstlers reflektiert wird und dann hängt es vom Geist des Künstlers ab, ob der Spiegel konvex oder konkav ist, transparent oder trüb. Wie auch immer er ist, er wird die Realität reflektieren. Was ich meine, ist, dass Kunst im Wesentlichen die Folge der Realität ist. Die Realität wird in diesem Spiegel reflektiert und es entsteht ein Kunstwerk. Auch wenn sie äußerlich ganz anders aussehen mag und es manchmal so scheint, als hätten sie keinen Bezug zur Realität. Selbst die abstraktesten Formen sind eine Konsequenz der Realität und es ist wegen dieses besonderen künstlerischen Geistes, dass sie uns als solche erscheint.
Shams Langeroodi wird 1950 im iranischen Langerood, Gilan geboren. Er schreibt Gedichte von der Grundschule an. Sein monographisches Debüt erscheint 1976, seitdem veröffentlicht er regelmäßig, zuletzt in großer Popularität. 1998 beginnt er seine Arbeit, die erste ihrer Art, an Eine Analytische Geschichte Moderner Persischer Lyrik, die ihn zehn Jahre und vier Bände lang beschäftigen.
Raha Golestani wird 1993 in Teheran geboren. Sie studiert Malerei an der Universität Teheran. Seit 2017 lebt sie in Frankfurt am Main, wo sie Ästhetik studiert hat und nun an ihrer Promotion arbeitet. Für PRÄ|POSITION übersetzt sie gelegentlich aus dem Persischen.
Produktion: Konstantin Schönfelder, Max Farr
Übersetzung: Raha Golestani
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Fal-e Hafez ist der Name einer alten Tradition, in der ein Leser Hafez um Rat fragt, vor allem in der Yalda-Nacht und am Tag des Nowruz. Die Menschen öffnen den Divan von Hafez an zufälliger Stelle, dieser antwortet mit seiner Poesie.
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