Biller zu hassen ist ein Reflex auf Billers Hass. Billers Hass im Gegensatz ist, genau betrachtet, ein Strategem. Biller kann, was die meisten von uns nicht können: Biller hasst mit Plan – immer gründlicher und immer besser begründet, schöner und ansprechender sowieso.
Biller ist eine Hassfigur. Ihn hasst man schon dem Namen nach. Biller. Wie das klingt, wie das blubbert. Biller ist nicht die Stecknadel, die morgens um fünf unterm Bett hervorrollt, sodass man zum eigenen Ungenuss drauftreten kann. Biller ist der dicke Pickel, der direkt zwischen den Nasenlöchern sitzt, da wo es besonders wehtut. Dieser pochende Pickel, der partout nicht, der nie reif wird, sodass er zu spannen beginnt, dieser unsägliche, der nie platzt und wenn, dann nur um nach wenigen Stunden in neuer Größe wiederzukehren. Ja, dieser Pickel ist, glaubte ich, Maxim Biller. Denn ich persönlich hatte Biller in seiner selbstgefälligen Art, mit der er im musealen Literarischen Quartett das Recht für seine eigene Außenseiterposition zu pachten versucht hat, wobei ihm sowohl die anspruchslos onkelhafte Stimmhaltung von Karasek wie auch die maßvolle Scharfzüngigkeit von Reich-Ranicki vor den Augen der Gemeinschaft der Fernsehenden krachend misslungen ist. Biller ist logorrhoisch, habe ich mal gelesen, lästig also. So glaubte ich bis vor kurzem.
Wenn auch all diese Wut den Billerhassern noch bis zum vorletzten Satz so äußerst richtig scheint, ist der Hass auf Biller doch ganz allgemein dumm und obendrein desinformiert. Biller zu hassen ist erwiesenermaßen (wie leicht sich das schreiben lässt) ein Reflex auf Billers Hass. Der reflexhafte Hass fällt auf als Replik. Billers Hass im Gegensatz ist, genau betrachtet, ein Strategem. Biller kann, was die meisten von uns nicht können: Biller hasst mit Plan – immer gründlicher und immer besser begründet, schöner und ansprechender sowieso. Ja, das Hassen muss man können. Und niemand in Deutschland hasst so klug wie Maxim Biller.
Für alle, die den Billerhass lernen wollen, gibt es seit einem knappen Jahr bei Hoffman und Campe ausreichend Anschauungsmaterial. Im mit einem Nachwort vom Wahlamerikaner Hans Ulrich Gumbrecht versehenem Band Hundert Zeilen Hass lesen wir Billers Tempo-Kolumnen und jene, die danach anderswo verstreut erschienen sind, und das aus über zwei Jahrzehnten. Darunter humorvoll düstere, bitterbös ehrabschneidende und letztlich meistens wohltuend treffende Porträts des Schlechten im Menschen am Beispiel einiger von uns. Der Autor schreibt ihre Geschichten nicht als Geschichtsschreiber, sondern mit großer Hingabe als ausführende, waltende Instanz. Dass diese Sammlung dann auch noch mit der am wenigsten an bürgerlicher Selbstinszenierung interessierten Jungle World auf dem Buchrücken beworben werden kann (»Zart und direkt«), spricht Bände über die Letalität von Billers Worten und auch ihren Gehalt. »Gute Polemiken funktionieren so, dass alle Unrecht haben, man selbst Recht hat und beim Rechthaben auch noch gut aussieht. Jemand, der das beherrscht, ist Maxim Biller.« Polemik ist hier zwar ein schiefes Synonym für Hass, doch trifft es Billers Anspruch besser. Dass abseits davon zwei seiner Kurzgeschichten schon im New Yorker zu lesen waren, kommt, wie in der Literarischen Welt vor einigen Jahren zu lesen war, bei den Deutschen so häufig vor wie Papstwerden. Man sollte nun ruhig für einige Sekunden darüber nachdenken, warum hierzulande ausgerechnet ein durch zu viel, zu frühe philosemitische Streicheleinheiten verbrämter, oder wie Biller sich in einem seiner früheren Bücher selbst betitelte, »gebrauchter« Jude die Rolle des quasi-institutionellen Schmerzverabreichens angenommen hat. Überhaupt ist Biller nach Michel Friedman auf der Seite der Juden wahrscheinlich der zweite neuralgische Punkt der kulturschwachen Mittelmaßdeutschen.
Wer hier das Arschloch ist, fragte Biller kürzlich brillant in seiner ersten Hass-Kolumne für Die Zeit seit langem und gab gleich die Antwort: ganz sicher nicht er, sondern, wie schon immer, wir, die »armen, kleinen deutschen Untertanen«. Doch auch wenn man sich an Biller stört und wünscht, er möge doch wie die anderen Juden entweder endlich auswandern oder aber artig unser deutsches Gewissen mit sich herumtragen, muss man sich doch eingestehen, dass niemand so überzeugend schreibt, dass Hass eigentlich ein positives Gefühl ist, nicht weil er reinigt, sondern weil er Spaß macht. Niemand außer Maxim Biller.
Für alle, die das nicht glauben wollen oder die insgesamt glauben, wir hätten den Hass längst einer revisionistischen Rechten mit dem geistigen Reifegrad von Importobst übereignet, ist dieses Buch. Und für den Rest sowieso.
Text: Maxim Biller, Hundert Zeilen Hass (Hoffmann und Campe 2017)
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