SHOP
#8 Kamel Daoud

#8 Kamel Daoud: Der Fall Mersault

von Moritz Junge

Daoud hält jenen, die den von Albert Camus verfassten Klassiker des Existen­zia­lismus, Der Fremde, gelesen und geliebt haben, und sich niemals die Frage nach dem Namen und der Geschichte des erschos­senen »Arabers« stellten, einen Spiegel vor.

Ich wollte dieses Buch nicht mögen. Ästhe­tische Konzepte, die sich in erster Linie als politisch be­greifen, scheinen sich nur allzu leicht im Erhe­ben des Zeige­fingers zu gefallen. Die Kunst verkommt da schnell zum Zugpferd eines Wagens, der ihren Predigern dazu dient, durch einen anschau­lichen Auftritt jenen ihre eigene Meinung als Wahr­heit auszu­geben, die sowieso schon derselben sind.
Daoud hält jenen, die den von Albert Camus verfassten Klassiker des Existenzia­lismus, Der Fremde, gelesen und geliebt haben, und sich niemals die Frage nach dem Namen und der Geschichte des erschosse­nen »Arabers« stellten, einen Spie­gel vor. Diese Geschichte, die Geschichte von Moussa, lässt der alge­rische Schrift­steller Daoud nun von Haroud, dem jünge­ren Bruder des Verstor­benen, in der von Wein und Schnaps geschwän­gerten Atmo­sphä­re einer Bar in Oran erzählen. Dabei tappt er nicht in die offensicht­liche Falle, die Geschichte des jüngeren Bruders Haroud oder die der gemein­samen Mutter zu vergessen. Ganz im Gegenteil: Geschickt erzählt Daoud in seinem Roman die Geschichte einer Sprach­ermächtigung:

»Ja, die Sprache. Die ich lese, in der ich mich hier und heute aus­drücke, ist nicht ihre Sprache.«

Denn Sprachen gehö­ren nieman­dem, genauso wenig wie Kulturen. So erzählt Daoud auch die Geschich­te einer Kulturer­mächtigung. Subtil werden biblische Spuren in ara­bischen Namen gelegt, die der Leserin die Pointe des Buches schon früh ankün­digen.
Der Fall Meursault ist eben auch ein Buch vom Tod, vom Kreis­lauf der Gewalt, vom ewigen Kampf zwischen Herr und Knecht, zwischen Kolonial­herr und den Verdammten dieser Erde (Frantz Fanon). Es ist eine Geschich­te des Aus­gleichs, der Rache, der allzu mensch­lich gedachten Gerech­tigkeit, die in ihrer Ausweg­losigkeit dem trunkenen Gang durch das Spiegel­kabinett gleicht. So ist in Daouds Roman am Ende nicht mehr klar, wer hier wem den Spiegel vorhält. Der Blick in den Spiegel offenbart eine schöpfe­rische Kraft, die, eigen­mächtig und frei, Poesie ist.
Kamel Daouds Roman weist uns neben dem Aus­weg der Liebe noch einen weite­ren aus dem Kreis­lauf der Gewalt: das Erzählen. So ist Der Fall Meursault eben auch die spiegel­bildliche Verbeu­gung vor Camus und seinen Sätzen von der Absur­dität des Todes:

»Wenn dein Held die Ermor­dung meines Bruders so gut erzählt, dann konnte er das, weil er auf das Gebiet einer völlig unbe­kannten Sprache vorge­drungen war, die viel mächtiger und so über­wältigend ist, weil sie gnaden­los den Stein der Worte schleift, so schnör­kel­los wie die eukli­dische Geo­metrie. Ich glaube es ist ganz großer Stil, mit so strenger Präzision von dem zu sprechen, was dir die letzten Mo­men­te deines Lebens auf­erlegen. Stell dir einen sterben­den Mann und seine letzten Worte vor. Das ist das Genie deines Helden: die Welt so zu beschrei­ben, als ob er jeden Moment sterben würde, so, als müsste er jedes Wort aus­wählen und dabei auch noch möglichst wenig atmen. Er ist ein Asket.«

Text: Kamel Daoud, Der Fall Mersault (Kiepenheuer & Witsch 2016)

Hat Ihnen dieser Text gefallen? PRÄ|POSITION ist als gemein­nütz­iges Projekt der »Förd­erung von Kunst und Kultur« ver­pflich­tet. Das Koll­ektiv arbeitet allein für den Text. Doch ohne Mittel kann auf Dauer selbst Kultur nicht stattfinden. Werden Sie Freund:in von PRÄ|POSITION und unterstützen Sie uns über PayPal, damit auch komm­ende Texte lesbar bleiben.

#8 Kamel Daoud: Der Fall Mersault

Im Rahmen unserer gemeinnützigen Arbeit nach § 52 Abs 2. Satz 1 Nr. 5 AO sind wir berechtigt, steuer­be­günstigte Zu­wendungen ent­gegen­zunehmen und darüber Zu­wendungs­bestätigungen auszustellen. Diese können Sie nach §10b EStG als Sonderausgaben bei Ihrer Steuererklärung geltend machen und erhalten so einen Teil des gespendeten Betrages zurück. Sollte das für Sie relevant sein, senden wir Ihnen diese im Anschluss an Ihre Spende gerne zu.