Geniezuschreibungen kursieren bereits, wo noch keine Seite gewendet ist. Und doch ließe sich in diesem Fall nicht sagen, die Rezensionen seien sorglos und müssten daher fehlgehen, denn Joshua Cohen ist längst das helle Dur der amerikanischen Schriftstellerszene.
Geniezuschreibungen kursieren bereits, wo noch keine Seite gewendet ist. Nützlich sind sie selten. Und doch ließe sich in diesem Fall nicht sagen, die Rezensionen seien sorglos und müssten daher fehlgehen, denn Joshua Cohen ist längst das helle Dur der amerikanischen Schriftstellerszene, die hierzulande allen Anlässen zum Trotz immer noch nicht weniger unsichtbar ist, als die Nachfolger von Handke & Co. dort. Cohen ist eine Ausnahme. Und er schreibt, dass manch einer glaubt, der Grat zwischen »great« und »greatest« sei in seinem Fall schmal genug, um ihn an dem jungen James Joyce zu messen. Kürzlich erschien sein Book of Numbers (2015) auf Deutsch und Christian Kracht sah sich genötigt, den Genietitel quasi offiziell zu bestätigen. Doch während der Großteil des deutschen Publikums Cohen zum ersten Mal liest, ist dieser mit Moving Kings bereits zwei Jahre weiter und beweist abermals, dass Prosa »amusing« sein kann, ohne ihre kritischen Obertöne einzubüßen.
So erzählt Cohen in unterschiedlichen Abspulgeschwindigkeiten das Leben von David King, der König der New Yorker Umzugsdienstleister ist und, wie sich zeigt, nach dem David benannt ist, der ebenfalls Jude und König war. Während der großen Pleite von 2008 kommt David mit dem Austreiben der Schuldner aus ihren Häusern und dem anschließenden Aufbewahren ihrer Kisten und Habseligkeiten kaum hinterher. Mit ihm begegnen wir den allzumenschlichen Abgründen einer New Yorker Gesellschaft, der mit den verschüttgegangenen Umzugskartons anscheinend auch ihr moralisches Geländer abhandengekommen ist. Dabei beweist Cohen eine Idiomatik, die zeigt, dass Alltag dann ist, wenn sich die Dinge wie eigenständig entleeren. In einem Moment der Schwäche nimmt David seinen Cousin Yoav bei sich auf, der gerade seine Pflichtjahre in der israelischen Armee abgeleistet hat (nutzlos bis er gebraucht wurde) und nun wie viele dieser jungen Israelis die Ruhe der »holidays«, der heiligen Tage danach sucht. »Who would have guessed that the enemy had been training him for moving?« Im Räumen gesichtsloser Büroräume durch Yoav, der schnell fester Bestandteil von Davids Crew wird, reinszeniert Cohen die Kriegsbilder der Besatzung im gelobten Land.
Das kann durchaus schiefgehen. Doch von der Mitte des Buches an ist Moving Kings eine brillante Parabel, die das Leben der Palästinenser und die gefühlte Enteignung der ärmeren Hälfte der US-amerikanischen Gesellschaft als zwei Geschichten einer Besatzung schreibt. Was ist schon der Unterschied zwischen denen, die verloren haben, was nie wirklich ihnen gehört hat und den finanziell Diskreditierten? Beide Seiten sehen im Juden Yoav ihr Schicksal, beide zeigen sich widerständig bis zum Schluss. Wem muss unser Mitgefühl gelten? Cohen ist zu klug, um uns die Seitenwahl leicht zu machen. Moving Kings ist kein politisierender Kitsch.
Nichts wird einfacher durch sein Buch, doch manches erhellt.
Text: Joshua Cohen, Moving Kings (Random House 2017)
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