Claudio Magris ist ein Nomade und er ist es nicht. Er ist als renommierter Literaturwissenschaftler in Italien etabliert und zugleich als Triester Kaffeehausliterat ein wahrhaft italienischer Denker.
Claudio Magris ist ein Nomade und er ist es nicht. Er ist als renommierter Literaturwissenschaftler in Italien etabliert und zugleich als Triester Kaffeehausliterat ein wahrhaft italienischer Denker. Zugleich ist der Nomade Magris in der Literatur und durch die Literatur immer unterwegs – stets entlang von Gattungsgrenzen, immer entlang sozialer oder natürlicher Grenzen. Für Letztere etwa in seiner berühmt gewordenen Biografie der Donau.
Dass daher seinem Werk die Reiseliteratur wesentlich ist, scheint folgerichtig. In Nilpferd in Lund erinnert er zuweilen an Roger Willemsens Enden der Welt, so wirkungsvoll erhellt sein Intellekt alles, worauf er sich richtet. In dem bei weitem vielseitigsten Essay, seinem Vorwort, schreibt Magris gleich zu Beginn: »Vorworte sind immer verdächtig. Als Schnickschnack, wenn das Buch, das sie einleiten, sie nicht nötig hat, oder als Indiz für seine Unzulänglichkeit«. Gegen beides schreibt Magris an.
Besonders eindrücklich gelingt es ihm auf den zwei Seiten, die mit dem Titel »Der Bücherwurm« überschrieben sind. Dort schildert er, wie sich während des spanischen Bürgerkriegs in den einsturzgefährdeten Sälen der Madrider Nationalbibliothek ein Geflüchteter zwischen den Bücherwänden versteckte. Nur selten tat er sich hervor, »um sich Nahrung zu verschaffen«, und kehrte anschließend wieder in die Bibliothek zurück. Was mag der Mann für ein Verhältnis zu den Büchern entwickelt haben? Waren sie bloß funktional für ihn, weil sie ihn verbargen? Oder wurden sie schließlich essenziell, weil er in der Literatur zu leben verstand?
Diese Fragen stellt Magris, aber er verspricht keine Antwort. Wer Magris liest, ist, wie der Reisende selbst, unterwegs zu einem Geheimnis.
Text: Claudio Magris, Ein Nilpferd in Lund (Hanser 2009)
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