Das ist kein gewöhnliches Sachbuch, das ich hier vor mir habe. Obwohl der Titel etwas anderes erwarten lassen mag, handelt es sich auch nicht wirklich um ein Buch über Philosophie. Das Buch ist eine Erzählung. Genauer: eine deutende Nacherzählung einer Erzählung über das Erzählen, eine Deutung von Thomas Manns epischer Tetralogie Joseph und seine Brüder.
Dies ist kein gewöhnliches Sachbuch. Obwohl der Titel etwas anderes erwarten lassen mag und noch dazu der Autor Professor des Fachs ist, handelt es sich auch nicht wirklich um ein Buch, das von Philosophie handelt. Dieses Buch ist eine Erzählung. Genauer: eine deutende Nacherzählung einer Erzählung über das Erzählen. Noch genauer: eine Deutung von Thomas Manns epischer Tetralogie Joseph und seine Brüder, die sich nicht auf die herkömmlichen Deutungsweisen beschränkt, sondern Neues versucht. Hutters Narrative Ontologie will erzählen, worüber Thomas Mann erzählend erzählt: das Verhältnis von Sein und Sinn, von Existieren und Bedeuten.
Zu den schönsten Sätzen dieses Buchs gehört dieser:
»Die Quelle der Würde und der Pflichten des Menschen ist somit seine Vergänglichkeit: Er soll nicht sein, sondern bedeuten« (234).
Hutter verweigert sich einer systematischen Einordnung seiner Gedanken. Er will keine Theorie vorlegen – sondern auf etwas stoßen. Es geht nicht um Anleitung, sondern um das Offenlegen des eigenen Angeleitet-Seins. Der Roman von Thomas Mann erzählt von den Geschichten Josephs und seiner Brüder aus der Genesis. Was dort auf einigen wenigen Seiten komprimiert steht, nimmt bei Mann monumentale Züge an. Warum wurde dieses Buch also geschrieben, wo es sich doch bei dem Buch, von dem es handelt, selbst bereits um eine scheinbar ausufernde Nacherzählung handelt? Wie kann da noch nichts alles erzählt sein? Die Antwort ist Subtext. Von primärem Interesse ist nicht, was in den Geschichten Josephs sich alles buchstäblich abspielt und was in kürzester Knappheit zu berichten wäre. Es geht um dessen Bedeutung. Der Mensch soll sich selbst erkennen in den Geschichten und er erkennt sich selbst, indem er versteht, was es bedeutet, (eine Erzählung) zu verstehen. Indem er die Fixiertheit der eigenen Identität zu lösen wagt:
»Ich kann ein jeder sagen, aber wer's sagt, darauf kommt's an.«
So lautet der fortlaufend am Kapitelanfang wiederholte und aus dem Joseph-Roman zitierte Kernsatz des Buches (u. a. 43). »Ich« sagt ein jeder Mensch und meint damit nur sich. Dieses kleine Wörtchen kommt so hochindividuell daher wie sonst kaum etwas. Doch dadurch, dass ein jeder es von sich sagt, scheint es seinen Glanz einzubüßen. Man ist doch nur ein kleiner Mensch unter vielen, einer, der darum in seinem Unbedeutendsein nicht gestört werden möchte. Der Mensch wird nicht verkleinert, er verkleinert sich selbst. Darin liegt die Gefahr, gegen die Hutter anerzählt. Dagegen wehrt sich sein Buch. Der Mensch ist bedeutend in seinem Ich-Sagen. Aber nicht, obwohl es jeder sagt, sondern gerade darum, weil es jeder sagt.
So kann der Mensch lernen, sich als Repräsentant der ganzen Menschengemeinschaft zu erkennen. Was ein einziger tut, steht dann für alle.
Text: Axel Hutter, Narrative Ontologie (Mohr Siebeck 2017)
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