SHOP
#61 Lisa Krusche

#61 Lisa Krusche: Unsere anarchistischen Herzen

von Holm-Uwe Burgemann und
Konstantin Schönfelder

Das ist der Abend der Premieren, sagt Lisa später. Es ist, zunächst einmal, der Abend ihrer ersten Lesung aus ihrem Debüt­roman Die Anarchistischen Herzen. Der große Saal der Evan­ge­lisch­en Akademie in Frankfurt, von dem aus der Live­stream gesendet wird, ist beinahe leer. Das ist seine Haupt­eigen­schaft an diesem Abend, wie an so vielen des ver­gang­enen Jahres.

Die Stühle stehen zu mehreren Türmen inein­ander gesteckt am Raumes­rand, zur Mitte hin sitzen die Verant­wortlichen, in ihrem Rücken die Techniker. Wir selbst sind in diesem Raum wie blinde Passagiere, die vor den Augen derer auf der Bühne ein reales Publikum simulieren, das besten­falls nur digital existieren kann. Lisas Nervosität, die ihr anfangs anzumerken ist, verfliegt im Laufe der Stunde, in der sie über ihren ersten Roman spricht. Nach der Veran­staltung greift sie sich noch ihre ange­fangene Cola-Flasche und ver­schwindet mit dieser und uns in die Nacht.

Wir gehen hinab zum Fluss, in Arm­länge vorbei an den Anliegern mit ihren Ausflugs­dampfern, und schauen dem Himmel beim Dunkel­werden zu. Anschließ­end laufen wir zum Auto und fahren zur zweiten Premiere, die Lisa ironisch, mit einem einzelnen Klatscher, als solche deklariert, was mich sofort an die Frage von Michael Ende denken lässt: »Wenn man die Hände zusammen­schlägt – welchen Ton macht dann eine Hand?«

Die zweite Premiere, das ist das kleine Büro, das wir kürzlich erst, ein paar Kilo­meter östlich, in Offen­bach bezogen haben. Wir pass­ieren das größte Mercedes-Benz-Autohaus Deutsch­lands und damit, wie mir einmal einer der Verkäufer nach einer Lesung bedeut­ungsvoll erzählte, die Stadt­grenze. Damit wolle man das »Offen­bacher Publikum« anziehen, ohne Frankfurt verlassen zu müssen. Auf einem der Hoch­haus­roh­bauten hat Aykut Anhan als Haft­befehl kürzlich ein Musik­video gedreht. Lisa beugt sich nach vorn und schaut nach oben. Sie sagt, dass sie nächtliche Auto­fahrten sehr gerne mag und scheint nichts gegen die weitere Viertel­stunde zu haben, die wir brauchen, um ein kleines Abend­brot zu besorgen.

Nicht über ihr Buch möchten wir sprechen, aber darüber, was es für sie bedeutet, dieses Buch mit dem eigenen Körper präsent­ieren, verkaufen und schluss­endlich auch verteidigen zu müssen.

Lisa, du hast heute zum ersten Mal aus deinem Buch gelesen. Kommst du dir jetzt aufgeschnitten vor?
Ich komme mir müde vor. Aufgeschnitten, weil das Lesen eine Veräußerung darstellt?

Als wir uns kennengelernt haben, hast du jemandem die Frage gestellt, ob Menschen sich aufschneiden müssen, damit die Bilder von außen hineinkönnen. Ich fragte mich heute bei dieser Lesung ohne Publikum, ob nicht auch du dich aufschneiden musstest, damit die Bilder aus dir heraus gelangen können.
Ich glaube, wenn überhaupt, wäre das ein Bild, das auf den Schreibprozess zutrifft. Nicht so sehr auf das Vorlesen. Aber eigentlich passt es als Metapher auch nicht einmal auf meinen Schreibprozess.

Gibt es eine andere Metapher für das, was heute Abend passiert ist?
Nee! (lacht)

Was erwarten Leute von dir, wenn die Debütautorin Lisa Krusche über ihren Roman spricht?
Dieser zweifelnde Part in mir neigt dazu, sich Szenarien und Erwartungen von fremden Personen zu konstruieren, die unerfüllbar sind. Aber das ist wohl weit davon entfernt von dem, was die Leute eigentlich erwarten. Ich selber schaue mir Lesungen an, weil ich neugierig bin auf das Thema oder die Autor:innen. Weil ich Texte kenne und wissen will, wie sie in persona wirken.

Erlebst du das als Fixierung auf die Person?
Es gibt eine Präsenz des Körpers bei der Lesung. Der Text ist eine Spur dieses Körpers. Und bei der Lesung werden Spur und Körper zusammengeführt. Ich glaube, es war Elena Ferrante, die aus der Perspektive einer weiblichen Autorin gesagt hat, dass sie deswegen nie gesehen werden will. Dass es für sie der einzig richtige Weg ist, sich all dem komplett zu entziehen. Das ist ein spannender Gedanke – aber für mich ist das jetzt zu spät! (lacht)

Sich der Beobachtung des Publikums zu entziehen?
Bei Ferrante weiß ja niemand genau, wer sie ist. So kann ich den Text immer nur abseits von ihr lesen. Freilich könnte man auch sagen, dass eben dieses Geheimnis um ihre Person und dieses Drumherum die Rezeption bestimmt.

Ist es eine merkwürdige Praxis, dass wir Autor:innen auf die Bühne setzen und über das sprechen, was bereits zugänglich ist?
Ich kann das verstehen, dass man eine Sehnsucht nach dieser Art der Begegnung verspürt. Nach der Stimme des Körpers, der den Text geschrieben hat. Deine Frage geht aber noch weiter. Ich finde eine solche Lesung auch manchmal etwas seltsam, weil ich mir vorkomme, als würde ich in einem paternalistischen Gestus meinen eigenen Text nochmal in anderen Worten erklären. Als gäbe es da eine Notwendigkeit, das zu tun. Das fühlt sich ein wenig bevormundend gegenüber den Leser:innen an. Und ich hoffe auch immer, dass es im Text was gibt, das einen selber übersteigt, was man selbst gar nicht erfassen kann. Was die Leser:innen vielleicht sogar besser begreifen als man selbst. Aber gut. Es kann ja auch sein, dass das Gespräch über den Text ein gemeinsames Denken darstellt, was den Text als Ausgangspunkt nimmt und sich von da aus weiterbewegt und in verschiedene Richtungen bewegt.

Beim Schreiben eines Textes gibt es Gewehrsleute auf dem Weg. Du stellst deinem Buch zwei Zitate voran. In Lesungen wird oft auf Autor:innen verwiesen. War dein Schreiben auch ein Schreiben unter dem Schutz solcher Leute?
Leander Fischer hat in seinem Bachmann-Portrait-Video gesagt, dass man immer mit einer Bibliothek im Rücken schreibt. Das finde ich schön. Ich glaube, das stimmt. Und es gibt Bücher, mit denen auch ich im Rücken schreibe.

Andere Leute sagen, sie schrieben auf den Trümmern einer weggesprengten Bibliothek. Da existieren verschiedene Vorstellungen. Etwa die Geste, die sagt, dass das Vorherige einen nicht interessiert.
Mich erinnert das an Manifeste der Avantgarde, die ablehnen, was vorher war. Dann kommt der Bruch und die Neuausrichtung nach vorne. Selbst ein Bruch bleibt aber eine Bezugnahme auf etwas.

Schreibst du auch jetzt gerade – in diesen Tagen?
Ich versuch es.

Geschieht das immer schon mit Blick auf das Format des Buchs?
Ich glaube, Schreiben ist eine Existenzform. Ich spreche nur für mich. Für mich sind sowohl Schreiben als auch Denken Bewegungen. Wie ein Fluss, aus dem manchmal so Felsen rausragen. Der Roman als Fels, als etwas Festes, das hier und da aus dem Fluss herausragt. So schreib ich nicht immer auf ein Format hin. Das ergibt sich manchmal im Prozess, dass ein Thema ersichtlich wird, das dann eine Form sucht. Und sich dann zum Beispiel wie Romanmaterial anfühlt.

Gab es einen Moment vor der Veröffentlichung deines ersten Romans, in dem klar war, dass das gerade von dir Geschriebene ein Buch werden, eine Buchform gewinnen wird?
Beim Kontakt zum Verlag kristallisierte sich das immer mehr heraus, dass es ein realer Roman werden würde – der dann auch erscheint. (lacht) Ich finde, das ist ein spannender Prozess, wenn es eine Veröffentlichung gibt. Man hat Vorstellungen davon, ich habs mir ausgemalt. Und am Ende fühlt es sich dann doch anders an. Ich hab lange gebraucht, das zu realisieren.

Denkst du nun von dir selbst als Schriftstellerin? Von außen scheint das ganz klar: Sie schreibt ein Buch, also ist sie Schriftstellerin. Ist das eine Selbstbeschreibung, die dir für dich selbst geläufig ist?
Nein. Ich habe lange gebraucht, das für mich beanspruchen zu können. Und finde das immer noch nicht so leicht. Es ist ein brüchiges Verhältnis. Ich finde es leichter, zu sagen, dass ich schreibe.

Und wenn dich jemand fragt, was du so machst?
Dann sage ich meistens doch, dass ich Schriftstellerin bin! (lacht) Das ist interessant. Ich glaube, weil sich die Leute darunter Konkreteres vorstellen können.

Es hat ja auch etwas Paternalistisches, wenn man jemandem sagt, sie sei eine Debütautorin. Und impliziert, dass das ein schöner erster Schritt gewesen sei und alle gespannt darauf sein dürfen, was jetzt noch so kommt. Könntest du sagen, was du dir in dieser Existenz als Schriftstellerin, die nun ja irgendwie begonnen hat, wünschst? Ein Gefühl, das du erleben möchtest?
Wie du das fragst, klingt das ein wenig nach einer Aneinanderreihung von Karriereschritten. Was nicht ganz falsch ist. Es ist mein Beruf. Ich habe mir lange gewünscht, dass ich die Möglichkeit einer Romanveröffentlichung bekomme. Aber ich nehme das nicht so wahr, dass ich dafür schreibe. Schreiben ist die Struktur meines Verhältnisses zur Welt. Ich merke jetzt eher, dass da neue Themen aufkommen, die mich interessieren. Diese Form. Diese Figuren. Wo ich spüre, dass das ein baldiges Projekt sein könnte. Wenn ich in Zukunftsschritten denke, dann sind diese Schritte neue Texte, die ich schreiben möchte. Und mir fällt doch eine Sache ein, die ich mir wünsche: dass es auch weiterhin Menschen geben wird, die Lust haben, sich mit mir auseinanderzusetzen über das, was ich schreibe. Dass ich Menschen treffe, die mir und meinem Schreiben vertrauen.

Text: Lisa Krusche, »Unsere anarchistischen Herzen« (S. Fischer 2021)

Produktion: Konstantin Schönfelder, Holm Burgemann, Simon Böhm, Ole Burgemann

Hat Ihnen dieser Text gefallen? PRÄ|POSITION ist als gemein­nütz­iges Projekt der »Förd­erung von Kunst und Kultur« ver­pflich­tet. Das Koll­ektiv arbeitet allein für den Text. Doch ohne Mittel kann auf Dauer selbst Kultur nicht stattfinden. Werden Sie Freund:in von PRÄ|POSITION und unterstützen Sie uns über PayPal, damit auch komm­ende Texte lesbar bleiben.

#61 Lisa Krusche: Unsere anarchistischen Herzen

Im Rahmen unserer gemeinnützigen Arbeit nach § 52 Abs 2. Satz 1 Nr. 5 AO sind wir berechtigt, steuer­be­günstigte Zu­wendungen ent­gegen­zunehmen und darüber Zu­wendungs­bestätigungen auszustellen. Diese können Sie nach §10b EStG als Sonderausgaben bei Ihrer Steuererklärung geltend machen und erhalten so einen Teil des gespendeten Betrages zurück. Sollte das für Sie relevant sein, senden wir Ihnen diese im Anschluss an Ihre Spende gerne zu.