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#29 Paul Celan

#29 Paul Celan: Mohn und Gedächtnis

von Simon Böhm

Celans »Todesfuge« mag den Eindruck eines sprechenden Titels, die Vor­stel­lung rhytmischen Auf­takts einer an­rüh­rend-bedrü­ckenden Be­schrei­bungs­reihe wecken – es trifft nicht zu. Viel­mehr durch­weicht die einzelnen Worte eine Schwere, die sich wie eine ab­bremsende Last an­bindet und so zwar ein Sprechen zuläst, aber nur eines im Modus des an­klingenden Ver­stum­mens.

Es ist einer, der hat was ich sagte.
Er trägts unterm Arm wie ein Bündel.
Er trägts wie die Uhr ihre schlechteste Stunde.
Er trägt es von Schwelle zu Schwelle, er wirft es nicht fort.

Singende Verse. Paul Celans Lyrik in seinem ersten Gedichtband Mohn und Gedächtnis aus dem Jahr 1952 entzieht sich der Festsetzung als erzählbares oder aufschreibbares Gedankengut. Bilder sind darin entworfen, hineingestellt und verstrickt als musikalisch-klingendes Geflecht, das Celans Ton wohl erst beim lauten Lesen hörbar werden lässt. In Czernowitz, einer nie stillstehen dürfenden Stadt in der heutigen Ukraine, dem damaligen Rumänien, und der zwischenzeitlichen Sowjetunion, wurde Paul Celan 1920 als Paul Antschel in die deutsche Sprache hineingeboren. Erst später verwandelt sich sein Nachname als Anagramm in »Celan«. Eine unbeschwerte Jugend würde er nicht erleben. Am Anfang seiner zwanziger Jahre entkommt er durch freiwillige Meldung bei einem Arbeitsdienstlager der Deportation durch die Nationalsozialisten knapp. Beide Eltern aber wird er, nachdem er sie zur Flucht nicht hatte überreden können, an den Tod im Konzentrationslager verlieren. Den Verlust beklagen die Verse von »Espenbaum«:

Espenbaum, dein Laub blickt weiß ins Dunkel.
Meiner Mutter Haar ward nimmer weiß.

Löwenzahn, so grün ist die Ukraine.
Meine blonde Mutter kam nicht heim. Regenwolke, säumst du an den Brunnen?

Meine leise Mutter weint für alle.
Runder Stern, du schlingst die goldne Schleife.
Meiner Mutter Herz ward wund von Blei.

Eichne Tür, wer hob dich aus den Angeln?
Meine sanfte Mutter kann nicht kommen.

Celans Dichtung – bloße Umkreisungen im Geiste unterlassener Aneignung der Verse durch Deutung für den Moment beiseitelassend – ist nicht zuletzt aufgrund seines wohl bekanntesten Gedichtes aus Mohn und Gedächtnis, der »Todesfuge«, als Versuch gedeutet worden, eine Sprache (wieder)zufinden, die angesichts (welch ein genauso beiläufig gebrauchtes wie hier ganz und gar unwürdiges Wort, denke ich an all die in banalem, dokumentiert vorgetragenem Abscheu erloschen haben müssenden Gesichter) der Grausamkeiten der Shoah einer jeden Dichtung – der deutschsprachigen – abhanden gekommen war, also in Worte zu fassen, was sich eigentlich der Fassbarkeit entgegenstellt, Verstehen verhindert und verhöhnt. Obwohl Celans Verse ohne Zweifel auf das Grauen hinweisen, sind sie nicht affirmativ in einem Sinne, dass sie behaupteten oder beanspruchten, die Ereignisse des Grauens abzubilden. Wo sollte auch dies Abbild sich zeigen, wo doch die Sprache erlischt? Die »Todesfuge« mag den Eindruck eines sprechenden Titels, die Vorstellung rhytmischen Auftakts einer anrührend-bedrückenden Beschreibungsreihe wecken – es trifft nicht zu. Vielmehr durchweicht die einzelnen Worte eine Schwere, die sich wie eine abbremsende Last anbindet und so zwar ein Sprechen zuläst, aber nur eines im Modus des anklingenden Verstummens.

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr
andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts
seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz
auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir
trinken dich abends wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit
den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein
Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt
ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt
man nicht eng

Im Nachgang der Schrecken und Grausamkeiten, wie überhaupt der Barbarei des Zweiten Weltkriegs, der eigenen Erlebnisse im Arbeitslager und im jüdischen Ghetto, war Celan bemüht, sich von seiner deutschen Muttersprache abzulösen und im Rumänischen eine neue sprachliche Heimat zu suchen. Gefunden hat er sie nicht, weder im Rumänischen noch dann im Französischen, wenn Celan letzterem auch gerade durch den 1948 erfolgten Umzug nach Paris, wo er 1970 den Tod in der Seine fand, stets nahe blieb. So erklärt sich dann auch, warum der Großteil seiner Dichtung auf deutsch verfasst ist.
Aus der Zeit kurz vor dem Umzug nach Paris datiert auch die erste Begegnung mit Ingeborg Bachmann in Wien. Beide waren im Frühjahr 1948 kurz ein Paar geworden, ihre Wege sollten sich bis zum Schluss häufig kreuzen und schneiden und immer wieder voneinander fortführen und aufeinander zulaufen. Auf Kontinuität war ihre immer wieder aufflammende Liebe füreinander, es ließe sich sagen, gerade von Seiten des bindungsscheuen Celan, nicht angelegt. In jedem Fall verdankte Celan nicht zuletzt dem aufopfernden Werben von Bachmann die Einladung zur Gruppe 47. Seine Lesung im Ostseeheilbad Niendorf vom 23. Mai 1952 sollte Celan in weniger guter Erinnerung bleiben. So hätte ein Anwesender zu ihm gesagt: »Die Gedichte, die Sie vorgelesen haben, waren mir sehr unsympathisch. Und dann haben Sie sie auch noch im Tonfall von Goebbels vorgetragen«. Kurze Zeit nach seinem Vorsprechen bei der Gruppe 47 ist die Veröffentlichung von Mohn und Gedächtnis ein Erfolg. Viele Gedichte darin lassen erspüren, dass in und mit ihnen immer auch Bachmann besungen wird. Wir lesen Wortsetzungen donnernder Schlichtheit, die in diesen Augenblicken oft ganz fremdartig wirken, weil sie wie dem Alltag entlehnt daherkommen. Sie bilden das Schwerezentrum vieler solcher Verse, um das herum die Erzählpassagen balancierend sich anordnen. Schlussendlich breitet sich an ihnen die zarteste Beschwörung aus, gleich einem lautlos an steilem Steinhang abwärts schwebenden Wasserlauf, um am Ende in die Brunnentiefenschwärze des Punkts, dieses als Abschluss missverstandenen Signums des Anfangs, hinabzuträufeln:

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:
wir sehen uns an,
wir sagen uns Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir schlafen wie Wein in den Muscheln, wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.

Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße:
es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit.

Text: Paul Celan, Mohn und Gedächtnis (DVA 1952)

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