Denn was ist ein Buch, wenn nicht das, was von Hand zu Hand geht?

»Es ist möglich, liebe Leserin, die du dieses Buch zum ersten Mal beginnst, schreibe ich, bevor ich hier an­fange, sich die Welt als eine gläserne Vase vorzu­stellen, für die es zwei Zustände gibt: zuerst den intakten, in der sie noch Blumen hält und in dem sich das durch sie hindurchgehende Licht sanft zum Regenbogen bricht; und dann jenen zersprengten, in dem Scherben den Boden übersäen wie die Überreste kleiner Muscheln den Strand. Eine Literatur, die aus der Geschichte kommt, um unsere Gegenwart zu beschreiben, müsste beantworten, was hier geschehen ist. Ihre Aufgabe bestünde in einer Scherbenlese; während es nun in deinen Händen liegt, die Scherben neu zusammenzusetzen.«
Denn wohin wir in diesen Tagen auch schauen, die Verhältnisse sind längst ermattet. Die Vase, die eben noch Blumen hielt, ist nicht mehr, das Licht hat sich zerstreut. Beständig scheinen wir unter dem Eindruck jener endlosen Krise zu leben, die mit dem Anthropozän gleichbedeutend geworden ist: Der Mensch leidet unter seiner eigenen Gegenwart. Und doch erzählen die Neuen Erschöpfungsgeschichten nicht zuerst von jener planetaren, moralischen oder seelischen Erschöpfung, die wir landläufig damit verbinden. Sie handeln davon, was es braucht, um zu erzählen von dieser Welt, die nicht mehr ist, was sie nie war und niemals jemals sein wird.
Dieses Buch entstand anlässlich von TEXT MATTERS. MATTERS OF TEXT, einem Festival zur Materialität der Sprache, das jährlich von PRÄPOSITION und dem Klingspor Museum in Offenbach am Main veranstaltet wird. Das Format, der Farbraum, die Materialität und die strenge Mittelachse seiner Texte erinnern an Taschenbibel und ästhetisches Manifest gleichermaßen. So hinterlassen uns die Neuen Erschöpfungsgeschichten nicht nur eine melancholische Beschreibung dieser unruhigen Zeit, sondern auch eine hoffnungmach- ende Aussicht: »Man wird daraus einmal alle Konsequenzen ziehen.«

Denn was ist ein Buch, wenn nicht das, was von Hand zu Hand geht?

Der Schal zu TEXT MATTERS. MATTERS OF TEXT (2024/25) repräsentiert die Suche nach neuen Bühnen als eine gemeinsame. Die eine Seite zeigt tänzerische Figuren von Ruth Roxane Eckrich, die andere Seite macht in blassrosa umrandeten Lettern den Festivaltitel zum Programm.

Tribal, Rosenkrank, eine bronzene Spur vor einem neon-orangenen Hintergrund. Das Plakat zu TEXT MATTERS. MATTERS OF TEXT (2024/25) repräsentiert die Suche nach einer Gemeinschaft im Sprechen einerseits als die Frage nach ihrer Gestalt und andererseits als die Notwendigkeit einer Decreation, einer fortlaufenden Entstaltung.

Im Rahmen von TEXT MATTERS. MATTERS OF TEXT (2023) sind als Limited Edition 100 singuläre Plakate im Format A1 entstanden. Die Hintergründe assoziieren und dissoziieren Farbspektren, die sich auf die wesentlichen Arbeiten der Protagonist:innen zurückführen lassen und unterhalb eines »Rauschens der Sprache« (Roland Barthes) Text synästhetisch materialisieren. Sie nutzen hierzu ein differenziertes Rauschen, das, ähnlich einer »differential privacy«, die Beziehung der Fragmente zueinander nur chiffriert sichtbar macht. Im Subtitle werden Schriften in unmittelbare Nachbarschaft gebracht, die eigensinnige und einander kontrastierende Epochen der Schriftgestaltung zitieren und vermischen. Alle Schriften wurden – against the rules – gestaucht und komplettieren so den mäandernden Hintergrund.

Das hier ist der Raum des Nichts und noch Nichts. Der schwarze Block ist das, was es nicht gibt, damit es es gibt.

DER SCHWARZE BLOCK ist Block und Buch in einem. Die schweren und durch ihre raue Oberflächenstruktur universell beschreibbaren Seiten werden dazu mittels eines matten Rändelbands, wie es auch in der Buchherstellung zum Einsatz kommt, händisch gebunden. Was nicht nur ein perfektes Aufschlagverhalten garantiert, sondern darüber hinaus ermöglicht, dass die plan nebeneinander liegenden Seiten an jeder beliebigen Stelle rückstandslos herausgetrennt werden können.
Dadurch ergeben sich zwei Nutzungsmuster: Entweder man betrachtet den Block als einen permanenten Verbund von Seiten, die im Ganzen ein Buch ergeben, oder aber als transienten Papierspeicher, dessen Inhalt zu einem späteren Zeitpunkt neu organisiert werden oder in Gestalt einzelner, solitärer Blätter spontan aus seinem ursprünglichen alltäglichen, beruflichen oder ideellen Kontext gelöst und anderweitig investiert werden kann.
Durch die schwarz kartonierten und mehrfach kaschierten Buchdeckel, den schwarzen Vor- und Nachsatz aus »Mill Waste«, einem Abfallprodukt aus der Papierindustrie, und die im letzten Herstellungsschritt manuell mit schwarzer Farbe bestrichenen Kanten gewinnen Buch wie Block nicht nur eine homogene Ästhetik, sondern auch einen monolithischen Charakter.

DER SCHWARZE BLOCK ist der Inbegriff einer Idee, die uns von Anfang an motiviert. Jeder muss schreiben. Und auch wenn dieser Satz weit mehr verlangt als händische Arbeit, war Papier immer schon das, was unseren Händen am nächsten war, ein Medium der ersten unsicheren Skizzen. Wir kamen vom Buch und gingen ins Internet. Dazwischen aber lag Papier. Das ist unsere Geschichte.

Das oversized Shirt in der Farbe PRINT symbolisiert die Tinte auf dem Papier. Sein schwerer urban-geschnittener Stoff aus Single Jersey Bio-Baumwolle wurde in Frankfurt Höchst händisch mit den universellen Lettern »TEXT« bestickt, deren Schriftart und monochrome Gestaltung eine Reminiszenz an die ikonischen PRADA-Schriftzüge ist. Das Etikett wurde aus recyceltem Garn in Würzburg gewebt und anschließend durch eine kleine Offenbacher Schneiderei eingenäht. Es trägt unsere URL und damit den Raum unserer Arbeit, A SITE OF SPECIAL INTEREST.

Das Shirt ist »oversized« geschnitten. Für eine dem normalen Schnitt entsprechende Passform mindestens eine Größe kleiner als üblich wählen: Größenberatung.

Das oversized Shirt in der Farbe PAPER symbolisiert den Weißraum eines unbeschriebenen Blattes. Sein schwerer urban-geschnittener Stoff aus Single Jersey Bio-Baumwolle wurde in Frankfurt Höchst händisch mit den universellen Lettern »TEXT« bestickt, deren Schriftart und monochrome Gestaltung eine Reminiszenz an die ikonischen PRADA-Schriftzüge ist. Das Etikett wurde aus recyceltem Garn in Würzburg gewebt und anschließend durch eine kleine Offenbacher Schneiderei eingenäht. Es trägt unsere URL und damit den Raum unserer Arbeit, A SITE OF SPECIAL INTEREST.

Das Shirt ist »oversized« geschnitten. Für eine dem normalen Schnitt entsprechende Passform mindestens eine Größe kleiner als üblich wählen Größenberatung.

Der klassisch geschnittene Hoodie in der Farbe PRINT symbolisiert die Tinte auf dem Papier. Sein weicher Stoff aus ringgesponnener Bio-Baumwolle wurde in Frankfurt Höchst händisch mit den universellen Lettern »TEXT« bestickt, deren Schriftart und monochrome Gestaltung eine Reminiszenz an die ikonischen PRADA-Schriftzüge ist. Das Etikett wurde aus recyceltem Garn in Würzburg gewebt und anschließend durch eine kleine Offenbacher Schneiderei eingenäht. Es trägt unsere URL und damit den Raum unserer Arbeit, A SITE OF SPECIAL INTEREST.

Der Hoodie fällt normal aus. Für einen oversized look empfehlen wir eine Nummer größer: Größenberatung.

SPIEGELLAND: NEUE MONOLOGE ist ein multimediales Archiv des Ostens geschrieben durch seine Nachkommen. Dieses Plakat wurde mit bedruckter Spiegelfolie hergestellt. Es ist ein Supplement zu Esther Kinskys Geschichte Gołdap–Glasgow. Zwiestimmige Reise und zeigt abstrahiert den Flusslauf der Weichsel. Links und rechts des Flusses verläuft ein Satz:

»Die Vö­gel sin­gen un­ter­schied­lich zu bei­den Sei­ten die­ser Flüs­se, die Blick­rich­tun­gen sind an­de­re. Nach Os­ten, nach Wes­ten, den Fluss im Rü­cken, zwei ver­schie­de­ne Ho­ri­zon­te. Jen­seits der Weich­sel än­dert sich das Licht, mei­ne ich zu se­hen, die Stim­mung, man darf kei­nen Blick zu­rück­wer­fen, nach Wes­ten, stel­le ich mir vor, ein Or­pheus­weg.
Knor­ri­ge Bäu­me bil­den lan­ge Al­leen und nei­gen sich da­rü­ber zum Som­mer­tun­nel. Die Al­leen sind holp­rig und schmal, schwe­re Mo­tor­rä­der ma­chen den Ge­gen­ver­kehr aus und zwin­gen in ei­ne Rei­he mit den wack­li­gen Rad­ler­grup­pen, Rent­ner im Som­mer­fri­schler­look, die ers­ten deut­schen Hei­mat­su­cher, je wei­ter nach Os­ten man kommt, des­to häu­fi­ger sieht man sie.
Die Land­schaft ist lieb­lich-­düs­ter, die Ort­schaf­ten ab­wei­send, zer­fal­le­ne Gü­ter aus ro­tem Back­stein, lang­ge­streck­te Rei­hen­häu­ser aus Fer­tig­bau­tei­len, die has­ti­gen Heim­stät­ten der Nach­kriegs­zeit für die bei Nacht und Ne­bel her­bei­ge­brach­ten Men­schen von jen­seits der heu­ti­gen Ost­gren­ze. Da­zwi­schen die ris­si­gen Be­ton­plat­ten­we­ge des länd­li­chen Ost­eu­ro­pas, so selt­sam ver­schwis­tert den has­tig an­ge­leg­ten Roll­fel­dern aus dem Zwei­ten Welt­krieg in Ost­eng­land. Gras und Kraut quillt aus den Rit­zen, Kamil­le, küm­mer­li­cher Mohn, Lö­wen­zahn.«

»Als Außenstehende etwas zur Sache beibringen, das ist leicht. Denn das sagt schon das Wort selbst. Beibringen. Etwas mit sich an eine Stelle bringen, wo es zuvor nicht war, und diese somit auch ein Stück weit nähren.
Wer die Kulturgeschichte beibringt, will kultivieren. Will die Wiesen zu Feldern machen, den Grund urbar, das Land ertragreich. Nur war unsere Wiese längst ein Feld und das Feld für die meisten schon das ganze Land. Die Wirtschaft ist unser eindrücklichster Umstand. Die Kultur steht ihr als eine Arbeit ganz anderer Art scheinbar immer entgegen.
Der Wirtschaft die Kultur beibringen, sie kultivieren wollen, das ist Anlass dieses Büchleins. Eingeladen zur KU-Konferenz Resonanz, fähig? sollten wir die Perspektive der Kulturgeschichte beweisen, indem wir beantworteten, was sich sonst meistens ohne sie gefragt wurde. Die sogenannte New Economy, gleich welcher Generation, schafft Wissen in Produktform. Und Produktformen als Seinsweisen. Ob das eine gute Praxis ist, kann dieses Büchlein nicht beantworten. Sein Ansinnen ist bescheiden, wenn seine Beispiele auch großformatig sind und bisweilen überborden scheinen mögen.
Wir wollten der Sprache der Konferenz mit einer anderen Sprache begegnen und entstanden ist so eine Konstellation von Abwegen, die sich um ein Ganzes winden: Was wäre, wenn wir die Konjunktion von Kultur und Wirtschaft nicht von der Wirtschaft aus läsen, sondern von der Kultur aus?
Dieses Büchlein ist eine solche Probeschrift. Der kleinste Atlas. Eine Angelegenheit für die Westentasche, auch wenn es diese längst nicht mehr gibt. Weil es bei seiner geringen Größe Platz für Fußbemerkungen wahrt, ist es auch als Journal gedacht, dessen vorgeschriebener Text — wie jeder Text — variiert, ergänzt und gestrichen werden kann und sollte. Selbst das bescheidenste Buch ist Anwältin für eine andere Wirklichkeit.«

Stand Juni 2022 ist die erste physische Auflage leider vollständig vergriffen. Die wenigen überbleibenden Exemplare werden archiviert.